Donnerstag, 6. Januar 2011

"The river is coming"
















Wenn man Bilder im Fernsehen sieht, wie Menschen in Überflutungsgebieten auf ihren Häusern sitzen und auf Hilfe warten, denkt man oft „oh wie schrecklich“. Aber denkt man wirklich so weit, dass einem das selbst auch passieren könnte? Man sieht die Bilder, die so weit weg sind, aber man versetzt sich nicht wirklich in die Lage. Erst, wenn sie vor der Haustür steht. Es ist nicht so, dass man plötzlich aufwacht und die Flut ist da. Es ist vielmehr ein schleichender Prozess. Man geht am Morgen zur Ernte-Arbeit und wird wieder nach Hause geschickt, da es zu stark geregnet hat in der Nacht und der Regen noch anhält. Alle freuen sich, dass heute nicht gearbeitet werden muss. Es regnet weiter. Alle freuen sich, denn die Natur braucht ja schließlich mal Wasser. Es regnet weiter. Alle machen sich einen Spaß und führen einen „Regentanz“ in Badebekleidung auf der Farm auf. Es regnet weiter. Späße und Witze werden gemacht, dass wir nun bald unseren eigenen Swimmingpool hier haben. Es regnet weiter. Am nächsten Tag kann wieder nicht gearbeitet werden. Der Farmer fährt nervös mit seinem Traktor herum. Es regnet weiter. Die Späße werden weniger. Die Gespräche drehen sich nun darum, dass die Dusche und die Toilette nicht mehr abfließt. Es regnet weiter. Nun seit 48h. In den Nachrichten hört man „der Fluss kommt“. Welcher Fluss? Doch nicht etwa das ausgetrocknete Flussbett 50m von der Farm entfernt? Es regnet weiter. Man fängt an, nicht nur zu reden, sondern Dinge in Sicherheit zu bringen. Also sie besonders weit oben im Haus zu verstauen. Es regnet weiter. Aus Sicherheitsgründen wird der Strom abgeschaltet. Somit gibt es auch kein fließend Wasser mehr. Der Fluss soll kommen. Wie kann der Fluss plötzlich kommen? Die Rede ist von 8m Höhe und mehr. Das Flussbett ist ca. 30m breit. Wo soll soviel Wasser plötzlich herkommen? Die Gascoyne Junction. Das Wasser fließt dort zusammen und bildet eine Art Flutwelle. Es regnet weiter. Etwas beunruhigt geht man ins Bett und hört den Regen trommeln. Nachdem man dann ca. 2460 Schäfchen gezählt hat und in einen Dämmerschlaf gefallen ist, wird man plötzlich von Hupen und grellem Licht geweckt. Ansage des Farmers: alle wichtigen Sachen packen und sofort mitkommen. Tritt man aus dem Haus bzw. Auto steht man in ca. 20cm hohem Wasser, da, wo vor 3 Tagen noch staubtrockene Erde war. Das Wasser steht nicht, nein es fließt. Der Fluss ist gekommen, über die Ufer getreten und bildet nun Nebenarme, die immer breiter werden. Was nimmt man mit, wenn man die Ansage „wichtigste Dinge“ bekommt? Am liebsten alles. Geht natürlich nicht. Reisepapiere, Geldbörse, Fotos. Nun heißt es, schnell ins Haus des Farmers flüchten, das auf einer Anhöhe gelegen ist. Auf dem Weg versinkt man ab und zu in tiefen Löchern, die der Fluss bereits gebildet hat. Mitten in der Nacht sitzen nun 12 verschlafene Farmarbeiter im Haus des Chefs und versuchen den Worten zu folgen: „wir werden alle in einem Haus leben…welches dieses hier ist…es wird mindestens 10 Tage dauern bis das Wasser wieder weniger ist…wenn wir Glück haben, steigt das Wasser nicht weiter, sodass dieses Haus sicher ist…fließend Wasser und Strom gibt es nicht…Nahrung wird per Hubschrauber angeliefert…Happy Christmas (wir haben den 19.12.)…“. Die darauffolgenden Tage heißt es warten, warten, warten, lesen, schlafen, warten, warten, warten. Schließlich ist es soweit, dass man mit ersten Aufräum- und Reinigungsarbeiten anfangen kann. Die erwarteten 10 Tage sind zum Glück nicht eingetreten. Am 24.12. hieß es, man kann in die Stadt fahren. Leider sind wir mit unserem Van stecken geblieben. Ein LKW-fahrer hinter uns hat seinen Freund angerufen, der uns dann heraus gezogen hat. Dann konnte es weiter gehen zum „Christmas-Shopping“. Am Supermarkt angekommen, gab es leider nichts mehr zum Shoppen. Die Regale waren leer gefegt. Ich weiß nicht wie, aber wir haben es tatsächlich geschafft, dass jeder unserer Gruppe am Abend etwas mitgebracht hat und wir ein gemütliches Weihnachtsfest mit leckerem Büffet hatten. Am 1. Weihnachtsfeiertag konnte man sogar wieder an den Strand gehen. Das Wasser war dunkelbraun, aber das hat uns nicht davon abgehalten, einen schönen Tag dort zu verbringen. Zusammengefasst kann man sagen: Weihnachten mal anders.

Die Woche zwischen Weihnachten und Silvester haben wir damit verbracht, zu retten, was noch zu retten ist. „Überlebendes“ Gemüse geerntet, Häuser vom Schlamm befreit, Pflanzen festgebunden. Plötzlich kam die Nachricht, dass die Straße nach Süden wieder geöffnet ist. In Anbetracht der Tatsache, dass wir schon vor Weihnachten nach Perth fahren wollten, hieß es für uns „nichts wie weg“. Nun kam es, wie es kommen musste. Nach 80km Fahrt ist unser Motor heiß gelaufen. Wir haben jede Menge Kühlwasser verloren. Nach einer Pause und aufgefülltem Kühlwasser ging es also wieder zurück in die Stadt zur Werkstatt. Am darauffolgenden Tag war unser Auto wieder fit, aber auch der Fluss wieder da. Neue Überflutungen und die Straßen waren wieder komplett gesperrt. Wir versuchen nun seit 2 Wochen diese Farm zu verlassen, aber da gibt es dieses unsichtbare Gummiband, an dem wir hängen und das uns bei jedem Fluchtversuch wieder zurück katapultiert.



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